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Zum 35. Todestag von Marc Chagall

Auf der Erde und im Himmel

von Adel Prochorova

Marc Zakharowich Chagall lebte fast hundert Jahre (1887-1985). Während seines langen Lebens änderte sich seine Art und Weise zu Malen nur wenig, auch der schöpferische Impuls wurde keine Minute lang schwächer. Seine nicht nachlassende Kreativität erlaubte es ihm, sich in den unterschiedlichsten Kunstgattungen und Disziplinen auszudrücken. Der Künstler arbeitete in fast allen Genres. Neben der Malerei und Buchillustration beschäftigte er sich mit Skulpturen, Mosaiken, Glasmalerei, Wandteppichen, Theaterkulissen; er schrieb auch Gedichte auf Jiddisch.

Kunsthistoriker bezeichnen ihn als einen berühmten Vertreter der künstlerischen Avantgarde und als einen herausragenden Koloristen des 20. Jahrhunderts.

"Kunst ist in erster Linie ein Seelenzustand." Und seine Seele schwebte in der Luft. "Die Malerei erschien mir wie ein Fenster, durch das ich in eine andere Welt fliege." Er behauptete, er sei "zwischen Himmel und Erde geboren" und befinde sich ständig in diesem "Zwischenraum", wobei er seine Existenz in einer besonderen Dimension begriffen habe: "Wäre ich kein Jude, mit allem was dieses Wort für mich beinhaltet, wäre ich überhaupt kein Künstler oder ein ganz anderer Künstler gewesen", formulierte er seine Position in einem seiner Essays.

Der Berliner Sammler Herwarth Walden eröffnete 1912 die berühmte Galerie "Der Sturm" in Berlin, wo er dem deutschen Publikum Werke von Marc Chagall vorstellte. Schon ein Jahr später fand hier die erste Einzelausstellung statt, die das Interesse von Kunst und Sammlern an seinem Werk weckte. Der Bewunderung für Chagalls Werk zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgte, als die Nazis an die Macht kamen, Verachtung. Er wurde zum "jüdisch-bolschewistischen" Künstler erklärt, und seine Bilder zur "entarteten Kunst" erklärt.

Chagall wurde oft als französischer Künstler jüdischer Herkunft bezeichnet, weil er einen Großteil seines Lebens in Frankreich lebte. In Paris angekommen, begann er mit den Vorbereitungen für eine Ausstellung im "Salon des Indépendants". 1913 präsentierte er das "Selbstporträt mit sieben Fingern". Er stellte sich selbst als einen seltsamen Schöpfer dar, der hinter einer Staffelei sitzt: hinter seinem Rücken sieht man durch das Fenster den Eiffelturm und eine orthodoxe Kirche, und vor ihm auf der Staffelei ein Stück seines Witebsk mit einer Kuh. Die Redewendung "Sieben Finger" bedeutet auf Jiddisch "Alleskönner", aber häufiger werden sie mit den biblischen sieben Tagen der Weltschöpfung in Verbindung gebracht. Über dem Kopf des Künstlers steht auf Jiddisch "Paris" und "Russland". Auf der Staffelei befindet sich das Gemälde "Russland, Esel und andere".

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zogen Marc Chagall und seine Familie in die Vereinigten Staaten. Der unerwartete Tod seiner Frau Bella in Amerika war ein schrecklicher Schlag für ihn. Seine Trauer war grenzenlos. 30 Jahre lang war sie seine Frau, seine Freundin und Muse, unterstützte ihn in guten und in schlechten Zeiten, teilte seine Triumphe und Niederlagen. Sie erschien immer wieder in seinen Bildern, die von Liebe handelten. Außerdem war sie ein unbestechlicher Kritiker seiner Arbeit. Ihre Beziehung war symbiotisch; sie war ein Teil von ihm und ebenso ein Teil seines Werks. So schreibt er geradezu hymnisch:

                    "Und du wurdest meine Frau
                    für lange Jahre. Die süßeste.
                    Eine Tochter mir geschenkt:
                    das seltenste Geschenk von allen,
                    am glorreichsten aller Tage..."

Auch nach Bellas Tod spiegelte sich die Liebe zu ihr in den Gemälden wider - alle Frauen, die Chagall malte, tragen weiterhin ihre Züge. Und obwohl die nachfolgenden Beziehungen mit Virginia Haggard und Valentina Brodskaya ebenfalls glücklich und voller aufrichtiger Gefühle waren, blieb die erste die intensivste und tiefste Liebe.

1947 kehrte er nach Frankreich zurück und ließ sich in der kleinen Stadt Saint-Paul-de-Vence in der Nähe von Nizza nieder.

Für Marc Chagall war die Arbeit der Sinn seines Lebens. Selbst bei seinen eigenen Ausstellungen blieb er nur wenige Stunden und verließ sie dann, da er sein Atelier schmerzlich vermisste. Bis zum Ende seines Lebens war er zutiefst davon überzeugt, dass die Welt ursprünglich gut und zur Freude des Menschen gemacht war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Chagall gerade von den Deutschen geliebt. Seine Kunst war zu einem Symbol der Versöhnung zwischen Deutschen und Juden geworden. Dem Künstler wurden zahlreiche Ausstellungen gewidmet, seine Bilder wurden gekauft und neue Sammlungen angelegt. Heute schmücken Millionen von Reproduktionen seiner Werke die Wände in deutschen Wohnungen, öffentlichen Einrichtungen und Büros. Marc Chagall trug mit seinen Werken zur Versöhnung bei und nahm große Aufträge an, wie die Gestaltung des Foyers der Frankfurter Oper und in den letzten Jahren seines Lebens den Zyklus von Glasfenstern in der Mainzer Stephanskirche.

"Er nimmt so viele Aufträge entgegen, dass er keine Zeit zum Sterben haben wird", sagte einmal ein New Yorker Bekannter über den alten Chagall. Er hatte eine erstaunliche körperliche Stärke und Schaffenskraft! Im hohen Alter übernahm er die Aufträge für die Glasfenster der Kathedrale Notre Dame in Reims, ein Mosaik in Chicago und malte im Auftrag des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle ein Deckengemälde in der Grand Opera. Zum 90. Geburtstag des Meisters fand im Louvre als große Ehrung und entgegen der eigenen Maxime, keine noch lebenden Künstler auszustellen, eine Retrospektive statt.

Marc Chagall ist der einzige Künstler der Welt, dessen Glasmalereien die Gotteshäuser fast aller Konfessionen schmücken. Unter ihnen befinden sich Synagogen, lutherische Kirchen und katholische Kathedralen in Amerika, Europa und Israel.

Die enge Verbindung mit Israel kann man in allen seinen Werken erkennen. Zum ersten Mal besuchte er das Land 1931. Im Rahmen seines Besuchs schenkte er mehrere Werke dem Museum von Tel Aviv. 1951 fand seine erste große Retrospektive in Jerusalem statt. Speziell für Israel verwirklichte er mehrere wichtige Kunstprojekte: Er fertigte eine Serie von Glasfenstern der "Zwölf Stämme Israels" für die Synagoge des Medizinischen Zentrums in Jerusalem an und entwarf dekorative Teppiche und Wandmosaiken für das neue Knesset-Gebäude.

In einem seiner Interviews während eines Besuchs in Russland sagte Chagall: "Egal was ich male, es geht um Liebe und unser Schicksal. Darum geht es in meiner Kunst. Es ist in mir, es ist stärker als ich".

Der Künstler glaubte fest daran, dass nur Liebe und Schönheit Grausamkeit und Böses besiegen können. Seine Kunst strotzt vor dieser lebensbejahenden Kraft.

Über die Autorin

Adel Prokhorova absolvierte 1985 die Akademie der Künste in St. Petersburg. Sie ist Kunstwissenschaftlerin von Beruf und hat in verschiedenen renommierten Museen in St. Petersburg gearbeitet. Seit 2000 lebt sie mit ihrer Familie in Mainz.

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